Die Eiben im Wald von Paterzell/Oberbayern
Von Priv.-Doz. Dr. Josef Attenberger, München
Aus: Jahrbuch 1964, 29. Band des Vereins zum Schutze der Alpenpflanzen und Tiere. München 1964
Das Land zwischen Ammer und Lech von den Bergen im Süden bis zu Landsberg und Dießen genießt besonderen
Ruf. Nicht nur die Lage zu Füßen der Berge begründet den Reiz des „Pfaffenwinkels", der Grenzmark Altbaierns
gegen die schwäbischen Lande. Dort reihen sich rings um den Hohenpeißenberg die klösterlichen Gründungen
Polling, Wessobrunn, Rottenbuch, Steingaden und Ettal, bedeutende Kirchenbauten wie die Basilika zu
Altenstadt aus Staufischer Zeit und das Rokokojuwel der Wies, die Wallfahrtskirche zu Vilgertshofen und das
Kleinod auf dem Hohenpeißenberg, das stille Friedhofkirchlein in Weilheim — ein gotischer Zentralraum um
eine Mittelsäule wie einst in Ettal — und fern der Straßen grüßt vom Südosthang des Peißenbergs ein
Georgskirchlein mit frühen gotischen Fresken. Da ist uns aus Wessobrunn das älteste geschriebene Wort
baierischer Sprache überliefert: ein Gebet:
Das erfragte ich unter den Menschen als der Wunder größtes, / Daß die Erde nicht war noch der
Himmel, / ..Als da nichts war von Enden und Grenzen, / Da war doch der eine allmächtige Gott, /
Gott allmächtiger, der Du Himmel und Erde gewirktest, / Gib mir in Deiner Gnade rechten Glauben
/ Und guten Willen, Weisthum und Spähe / Und Kraft, den Teufeln zu widerstehen und Arg
abzuweisen und Deinen Willen zu wirken“
Da ist Oberammergau mit der Passion, und nicht weit davon hat König Ludwig II. sein Linderhof in die Wälder der
Berge gestellt. In diesem Land ist der Lüftlmaler Franz Zwinck daheim und dort wirkten die Wessobrunner, von
denen Namen wie Zimmermann, Schmuzer, Math. Günther und viele andere weit ins Land hinaus leuchteten.
Aber der Pfaffenwinkel ist nicht nur ein Land der Kunst, er hütet auch manchen landschaftlichen Schatz: in der
Litzauer Schleife am Lech oberhalb Schongau eine der letzten urtümlichen Wildflußlandschaften, in der
„Scheibum" unweit Saulgrub das imposante Cañon der Ammerschlucht mit seinen brausenden Wassern, und die
Ammerleite von dort unter der Echelsbacher Brücke hindurch bis Rottenbuch ist ein Glanzpunkt besonderer Art.
Reich ist das Land an Wäldern und Bäumen: bei Wessobrunn bewahrt die uralte Tassilolinde das Andenken an
den klostergründenden vorletzten Agilolfinger, ein ehrwürdiger Baum, der schon war, als Kolumbus seinen Fuß
auf den Neuen Kontinent setzte. Und in Schallweite der Glocken von Wessobrunn birgt der Wald etwas ganz
Besonderes: es ist ein Zauberwald mit beinahe tausend alten, ja uralten Eiben, Bäumen, die in Form und
Wesen scheinbar in der Urzeit wurzeln. Diesen in den Wäldern des Oberlandes so selten gewordenen Bäumen
und dem „Eibenwald von Paterzell" im Besonderen gilt unser Besuch. Wir wollen das Porträt der Baumart
zeichnen, ihre Verbreitung einst und jetzt in den Wäldern des Alpenvorlandes kennenlernen und schließlich den
berühmten Wald bei Paterzell aufsuchen.
Das Porträt der Eibe
Die Eibe ist eine Baumart, der wir in den Wäldern heute nur mehr selten begegnen. Und da sie in ihren Zweigen
und in ihrem Habitus bei oberflächlicher Betrachtung den unterständigen Tannen zu gleichen scheint, die man
in den bergnahen Mischwäldern unseres Voralpenlandes häufig findet, muß man ihre Eigenart wohl ein bißchen
vorweg beschreiben.
Die Eibe ist ein Baum geringer Größe; sie wird nur selten höher als etwa 15 Meter. Alte starke Bäume können
dabei aber 50, 60, ja bis zu 80 cm stark werden, wobei ihr Durchmesser in Brusthöhe gemeint ist. Die alten
Eiben fallen also schon fürs erste durch ihre gedrungene Gestalt auf, die durch breite, obstbaumartige Kronen
noch unterstrichen wird. Die Rinde älterer Bäume ist zimtbraun bis graubraun und der Stamm stark längsrinnig,
wie wenn mehrere schwächere Bäumchen zu einem einzigen starken Stamm zusammengewachsen wären, und
das ist bei manchen besonders starken und bizarren Eiben auch wirklich geschehen. Das Gesicht der Rinde mit
den plattig sich ablösenden Borkenfetzen ist im Lichtbild Nr. 11 festgehalten. Tannenähnlich sind die Zweige:
dunkelgrün, aber sie haben nicht die charakteristischen zwei weißen Spaltöffnungsreihen unterseits längs der
Mittelrippe, die man an den Weißtannennadeln gar nicht übersehen kann.
Zwar ist die Eibe ein Nadelbaum, aber der einzige in unseren heimischen Wäldern, der keine Zapfen trägt.
Taxus baccata, die „beerentragende" Eibe, birgt ihre Samen in Scheinbeeren mit rotleuchtendem fleischigem
Samenmantel, dem „Arillus", wie die Botaniker sagen. Neben dem Holz ist dieser fleischige Samenmantel das
einzige nicht Giftige an unserer merkwürdigen Baumart, denn Samen und Nadeln und die nicht-verholzten Zweige
bergen Taxin. Eibenholz ist hart und schwer, es hat schmalen gelben Splint und dunkelbraunen Kern.
Billardkugeln und hölzerne Faßwechsel hat man früher vielfach oft aus ihm hergestellt, neben Schießbogen,
welch letztere historische Verwendung in erster Linie dafür verantwortlich ist, daß man die Eibe in unseren
bergnahen Wäldern heute nur mehr so selten trifft. Die Eiben sind ungemein zählebig; sie schlagen reichlich aus
dem Stock aus, ertragen das Beschneiden sehr gut — was der Gärtner an den Taxushecken zu schätzen weiß —
und haben die Fähigkeit, fast unbegrenzt aus schlafenden Knospen am Stamm wieder auszutreiben, wenn der
Krone ein Unheil widerfährt. Diese schlafenden Knospen sind das Geheimnis des beinahe unsterblichen
Lebens dieser merkwürdigen, fast möchte man sagen: einer vergangenen Welt zugehörigen Bäume. Lichtbild Nr.
12 hat einen Ausschnitt aus einem Eibenstamm im Paterzeller Wald mit besonders vielen derartigen
Adventivknospen und -zweiglein festgehalten.
Die Verbreitung der Eibe im Oberland
Wenn man den Eiben auch häufig als Einzelbäumen in Parks und Gärten begegnet, so sind sie doch im
eigentlichen Waldbäume. Und sie waren in den Wäldern des Oberlandes und in denen der Mittelgebirge einstmals
gar nicht so selten. Sie sind erst mit dem ausklingenden 16. Jahrhundert selten geworden, nach
rücksichtslosem Raubbau für den Export als Schießbogenholz vornehmlich nach England. Und seither tat
und tut auch die geregelte, mit kurzen Verjüngungszeiträumen arbeitende Waldwirtschaft ihr übriges dazu, die
empfindliche und langsam wachsende Eibe aus den Wäldern zu verdrängen. Im Mittelalter gab es richtiggehende
Eibenholzmonopole, und mit dem elastischen Holz blühte ein schwungvoller Handel, denn es war bis in die
neuere Zeit hinein gesuchtester Rohstoff für Schießbögen. Hatten doch die Engländer noch vor 350 Jahren
Bogenschützen in ihren Heeren verwendet. Die monopolisierten Händler übten ihr Gewerbe so gründlich aus,
daß man zu Zeiten Kaiser Maximilians des letzten Ritters (1493—1519) schließlich Schonzeiten für die Eiben
einführen mußte, damit sich die arg strapazierten Vorräte wieder erholen konnten. R. B. Hilf schätzt, daß
allein von Nürnberger Monopolhändlern in der Blütezeit des Eibenholzhandels im jährlichen Durchschnitt
zehntausend Eibenholzbogen exportiert worden sein duften. Da die Eibe sehr langsam wächst, kann man
ermessen, was das heißt. Heute ist die Eibe ein seltener Gast in den Wäldern, und auch als Forstmann
empfindet man fast ein bißchen Entdeckerfreude, wenn man an unzugänglichen Hängen und in den Tobein der
Molasseberge hier und dort den selten gewordenen Bäumen begegnet.
Die Eibe ist in ihrer natürlichen Verbreitung an die Buchen- und Buchen-Tannenwälder gebunden. Sie stellt sich in
ihnen bevorzugt dort ein, wo sich diese Waldgesellschaften vom Optimum ihres Vorkommens auf die extremen,
steilen Sonderstandorte mit noch unstabilen Böden verlieren. Nagelfluhfelsen in schattseitiger Lage,
Mergelsteilhänge in den kühlfeuchten Tobein der Molasselandschaft, wo kalkreiches Quellwasser austritt und oft
Kalktuff und kleine Quellmöser entstehen läßt, sind die typischen Standorte der eibenreichen Wälder, des
Taxo-Fagetum im System der Waldgesellschaften.
In den Eibensteilhangwäldern lockert sich das sonst in der Regel geschlossene Gefüge der Buchen-
Tannenwälder. Dort kann sich dann sogar die Föhre halten, die ansonsten als lichtbedürftiger Baum meist der
Konkurrenz von Buche und Tanne unterliegt. Dazu findet man dann in solchen eibenreichen Wäldern noch den
Bergahorn, die Mehlbeere, in tieferer Lage auch die Esche und die Wildkirsche. Die Eiben — da sie Bäume
geringerer Größe bleiben — bilden in diesen Wäldern zusammen mit schwächeren Tannen die Unterschicht.
Der Wald jener Sonderstandorte ist im Schluß, in der Höhe und in der Stärke seiner Bäume meist stark
differenziert, er ist „Plenterwald" oder doch plenterwaldartig, und man muß ihn in der Regel als Schutzwald
behandeln, wenn man äußerst unangenehme Hangrutschungen und Abplaikungen vermeiden will. Der Paterzeller
Eibenwald wächst auf Kalktuff und dieser Kalktuff ist dem wassertragenden Flinz gleichsam nur aufgeklebt. Das
hat zur Folge, daß die durchfeuchteten Böden mitunter regelrecht ins Rutschen kommen und der Wald mit
ihnen, das kann man da und dort an schiefstehenden Bäumen gut erkennen.
Die Tobelwälder lassen sich nur schwierig im Lichtbild erfassen und daher soll Abbildung 6 eine Vorstellung
vom Typ dieser Eibenwälder vermitteln. Dort ist ein maßgerecht gezeichneter Querschnitt (beidseits 50 m Länge
und 10 m Breite) aus einem Eibengraben im Molassebergland zwischen Miesbach und Au bei Aibling wiedergegeben.
Die steile Hanglage, der Schluchtwaldcharakter und der plenterartige Waldaufbau mit Buche, Tanne, Fichte, Föhre,
Bergahorn, Mehlbeere und den zahlreichen unterständigen Tannen und Eiben kommt darin gut zur Geltung.
Die Eiben von Paterzell
In den Molassetobeln trifft man die Eiben fast immer nur in verhältnismäßig geringer Zahl, und die Eiben, die
dort stehen, sind auch meist nicht besonders stark. Das ist nun ganz anders in dem gerühmten „Paterzeller
Eibenwald". In einem Naturschutzreservat von 22 ha stehen dort nach jüngsten Zählungen noch 910 Eibenbäume
und -bäumchen, wenn man die schwächsten von ihnen mit einem Brusthöhendurchmesser unter 7 cm außer
Betracht läßt. Unter diesen beinahe tausend Eiben gibt es viele ganz besonders starke Bäume von 40 bis 50 bis
60 cm Durchmesser, ja der stärkste Eibenbaum in diesem größten deutschen Eibenvorkommen mißt in Brusthöhe
82 cm, wenngleich er nur 16 m Höhe erreicht.
Die Eiben von Paterzell sind es wert, daß man ihnen einen Besuch widmet. Am sdiönsten ist die Wanderung an
einem Herbsttag, wenn die gelben Blätter an den Bäumen wehen und sich der Wald für den Winter rüstet. Mit
dem Auto kommt man von München aus an einem Nachmittag gut zurecht: man verläßt die Olympiastraße in
Weilheim und folgt der dort abzweigenden Landstraße nach Westen Richtung Wessobrunn—Landsberg. Nach
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/2 km Fahrt biegt man beim Weiler Zellsee links ab, den Höhen des Hohenpeißenbergs zu, folgt nach nochmals
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1 z km einem Wegweiser links nach Paterzell — und ist schon im Eibenwald, der die Fahrstraße zu beiden Seiten
säumt. Nadi 300 Metern geht links und rechts ein Fußweg ab; dort läßt man den Wagen und begibt sich nun zu
Fuß in den Eibenwald hinein, auf einem Weglein, das nach oben zum Tuffsteinbruch und zu vielen in halber Höhe
entspringenden Quellen, nach unten zu den stärksten Eiben und zu einigen besonders interessanten
Baumdenkmälern führt. An Hand der beiden Kärtchen Abb. 10 und 13 läßt sich der Weg leicht finden, er ist
allerdings nicht besonders markiert.
a) Die Lage und der Standort
Der Paterzeller Eibenwald stockt in 750 bis 620 Meter Höhenlage am Osthang eines Rückens, der vom Kranz der
Ammerseemoränen gleichsam zum Hohenpeißenberg hinanführt. Hochterrassen-Nagelfluh formt den oberen sehr
steilen Hang; die untere Hanghälfte verflacht allmählich, östlich der Fahrstraße läuft sie fast eben aus. Diese
untere Hanghälfte ist von der Kraft des nach Norden strömenden Eises in voreiszeitliche Schichten
hineingeschürft: in den tertiären Flinz, der als wassertragender Horizont bekannt ist, die Münchener Schotterebene
trägt und nördlich der Stadt unter den darüberliegenden Schottern ausstreicht und so den Gürtel des Dachauer und
Erdinger Moores entstehen ließ. Im Paterzeller Wald ist die Nahtstelle zwischen wasserdurchlässigem
Nagelfluhgestein und dem darunter liegenden Flinz, gerade etwa am halben Hang, der Ursprung des Kalktuffes,
auf dem der größte Teil des Eibenwaldes stockt.
Dieser Quellhorizont ist die standörtliche Voraussetzung für das Vorkommen der Eibe in diesem Wald. Das
Kalktufflager, das von dem Quellhorizont am Flinz bis zum unteren Hangauslauf reicht, ist nacheiszeitlichen
Ursprunges. Es ist also ein sehr junges Gestein, und im großen und ganzen nicht anders entstanden als die
Kalkkrusten in Leitungsrohren und Wassertöpfen. Auf dem langen Weg durch die porösen kalkreichen
Nagelfluhschichten löst das leicht kohlensäurehaltige Niederschlagswasser ziemlich große Mengen von Kalk; wenn es
dann unten über dem Flinz in Quellen und Bächlein wieder zutage tritt, fällt ein Teil des Kalkes in grusigen Flöckchen
aus und sedimentiert mit der Zeit zu dem porösen, weichen Gestein, das wir im Kalktuff vor uns haben. Blätter
und Zweiglein, die in dieses kalkreiche Wasser fallen, überziehen sich im Laufe der Zeit mit Kalkkrusten, und man
kann sozusagen mit eigenen Augen sehen, wie die Versteinerungen — die der Tuff enthält — auch heute noch
entstehen, denn man kann versteinerte Blätter und Nadeln aus dem Wasser heben.
Die Kalktufflager bei Paterzell, bei Polling und an vielen anderen Fundstellen im Alpenvorland haben nicht nur
naturgeschichtliche Bedeutung. Kalktuff war der erste Großbaustein des Alpenlandes, bevor schließlich viel später
das Ziegelwerk über die Alpen zu uns gekommen ist. Aus diesem alpenländischen Baustein sind die Basilika von
Altenstadt und das romanische Münster von Steingaden gefügt, und auch den „Grauen Herzog": den alten
romanischen Glockenturm von Wessobrunn hat man aus diesem Material gebaut (Photo 4); und wo alte
Bauernhäuser abgebrochen oder umgebaut werden, kommt aus den scheinbar glatten, verputzten Wänden nicht
selten der ungefüge und wenig behauene Tuffstein zum Vorschein. Oberhalb der Fahrstraße etwa am halben
Hang liegt mitten im Wald ein Tuffsteinbruch; dort kann man das weiche, poröse, ein wenig gelbliche Gestein
besehen, und man kann manchmal zuschauen, wie die zunächst ungefügen rohen Blöcke unter der Säge
zurechtgeschnitten werden. Es ist eine ganz einfache, fast primitive Anlage, die da in Betrieb ist, nicht viel anders
wie ein kleines Sägewerk. In den beiden Lichtbildern Nr. 8 und Nr. 9 ist diese „Steinfabrik“ festgehalten. Unweit
vom Steinbruch, auf gleicher Höhe mit ihm aber ein wenig nordwärts davon, kann man sich davon überzeugen,
daß die dem Flinz aufgepappte Tuffkruste ein recht wenig stabiler Waldstandort ist. Da ist ein ganzer Teil des
Hanges im langsamen Gleiten und Rutschen; man sieht es den Bäumen an, die mit ins Gleiten kamen und nun
recht schief und verschoben in den Himmel ragen (Lichtbild 18).
In gleicher Hanghöhe mit dem Steinbruch zieht sich eine leichte Verebnung quer durch das Gefalle: dort an der
Naht von Flinz und Nagelfluh sprudeln die Quellen, stehen die Brunnstuben für die unterhalb liegenden
Siedlungen und hier nehmen auch die zahlreichen Bächlein ihren Anfang, die den Eibenwald durchrieseln und
diesem Urwald seinen eigenartigen Reiz verschaffen.
b) Der Wald
Die Bezeichnung „Paterzeller Eibenwald" ist genau genommen nicht ganz korrekt. Denn im obersten Hangteil ist es
ein typischer Buchensteilhang mit eingesprengten unterständigen Eiben, und auch im mittleren und besonders im
auslaufenden Hangteil stehen die Eiben unter dem Kronendach von Fichte, Buche, Tanne, Bergahorn, Ulme und
Esche. Der Paterzeller Wald fügt sich auch nicht so ohne weiteres in das System der Waldgesellschaften: man
rechnet ihn den ahorn-eschenreichen Buchen-Tannenwäldern zu, sofern man hier überhaupt von einer einzigen
Waldgesellschaft sprechen kann. Bunt wie das Mosaik der Kleinstandorte ist nämlich auch die Bodenvegetation.
Eine Aufnahme auf größerer Probefläche oberhalb und unterhalb der Straße zählt folgende Arten:
Strauchschicht
Berberis vulgaris (Berberitze)
1.1
Clematis vitalba (Waldrebe)
+.1
Crataegus oxyacantha (Weißdorn)
+.1
Cornus sanquinea (Roter Hartriegel)
+.1
Ligustrum vulgare (Liguster)
1.1
Lonicera alpigena (Alpenheckenkirsche)
+.1
Lonicera xylosteum (Rote Heckenkirsche)
+.1
Rhamnus frangula (Faulbaum)
+.1
Viburnum lantana (Wolliger Schneeball)
+.1
Krautschicht
Asarum europaeum (Haselwurz)
2.1
Brachypodium silvaticum (Waldzwenke)
1.2
Calamagrostis villosa (Wolliges Reitgras)
+.2
Carex alba (Weißsegge)
3.4
Carex silvatica (Waldsegge)
+.1
Daphne mezereum (Seidelbast)
1.1
Equisetum hiemale (Winterschachtelhalm)
+.3
Equisetum maximum (Riesenschachtelhalm)
1.2
Galium rotundifolium (rundblättriges Labkraut)
+.1
Hedera helix (Efeu)
2.1
Mercurialis perennis (Waldbingelkraut)
2.3
Molinia coerulea (Pfeifengras)
+.2
Gentiana asclepiadea (Schwalbenwurzenzian)
+ .1
Oxalis acetosella
(Sauerklee)
1.2
Polygonatum multiflorum (Salomonsiegel)
+.1
Polygonatum verticillatum (Quirlblättriger Salomonsiegel)
+.1
Prenanthes purpurea (Roter Hasenlattich)
.
1
Primula elatior (Große Schlüsseblume)
.1
Stachys silvaticus (Waldziest)
1.2
Viola silvatica (Waldveilchen)
1.1
Das erste der beiden jeweils durch einen Punkt getrennten Symbole bezeichnet die Häufigkeit des Vorkommens:
+ = spärlich vertreten;
2 = 5 bis 25°/o der Fläche deckend;
l = häufig vorkommend, jedoch nicht
3 = 25 bis 50% der Fläche deckend;
mehr als 5°/o der Fläche deckend;
4 = 50 bis 75% der Fläche deckend;
5 = über 75% der Fläche deckend.
Die Summe der Deckungsgrade muß nicht gleich 100% sein, denn die Bodenvegetation kann mehrschichtig sein.
Neben Kennarten der Buchen-Tannenwälder des Gebietes und Trennarten der edellaubholzreichen
Untergesellschaft stehen in gehäufter Verbreitung die Weiße Segge (Carex alba), der Gemeine Sauerdorn
(Berberis vulgaris), die Gemeine Waldrebe (Clematis vitalba), also Arten, die der initialen Bodenentwicklung auf
Tuffkalk entsprechen, und andererseits verraten die beiden Schachtelhalme, der Schwalbenwurzenenzian, das
Pfeifengras und der Faulbaum die tonreichen vernäßten Quellmöser mit kalkreichem Wasser. Der Kalkreichtum
des Tuffuntergrundes und der zahlreichen Wässerlein äußert sich überhaupt in der gesamten Bodenvegetation.
Das Wasser, das in reicher Fülle fließt und sickert, ist der entscheidende Faktor, der auf dem an sich nicht zur
Üppigkeit neigenden Tuff das Waldbild zaubert, das wir im Paterzeller Wald vor uns sehen.
Wenn man diesen interessanten Wald kreuz und quer durchmessen hat, wird man die innere Ordnung suchen,
nach der sich die Vielzahl der gesehenen Mosaiksteinchen gleichsam gesetzmäßig aneinanderreihen läßt. Das
schematische Vegetationsprofil von den steilen Nagelfluhfelsen oben am Plateaurand hinunter zum Hangauslauf
unterhalb der Straße birgt dazu den Schlüssel (Abb. 17).
Der Eibenwald von Paterzell repräsentiert nämlich eine typische Serie, eine Entwicklungsreihe des Waldes auf
dem gegebenen Standort. Sie beginnt oben unter dem Plateaurand am wenig entwickelten steilen Nagelfluhhang,
der noch gar nicht recht zur Ruhe gekommen ist; man merkt das, wenn man versucht, über das lockere Geröll
dort hinauf zu steigen. Hier am Steilhang herrscht die Buche mit dem Bergahorn, unter deren Kronendach sich die
Eibe in einer zweiten Schicht einschiebt. Es ist ein richtiger Steilhangwald und die Eiben stehen hier am Anfang
der sich anschließenden Eibenwaldserie; man findet dort meist schwächere, wenngleich sehr wüchsige Eiben.
Unterhalb des Quellhorizontes, der die Brunnstuben trägt, wird die Hangneigung sanfter. Der Wald stockt jetzt
auf Tuff, und dessen bodenbildender Wert nimmt um so mehr zu, je weiter wir hangabwärts wandern. Nun
stellt sich zunehmend die Fichte im Kronendach mit ein, Tanne, Esche und Ulme treten dazu, und die Eiben
werden stärker. Der Schluß ist unregelmäßig, wozu die zahlreichen kleinen Quellmöser mit ihrer nur geringen
Bestockung mit beitragen; das Gefüge des Waldes ist plenterartig. Hier ist die Eibe so recht in ihrem Element:
wir sind in der optimalen Phase des Eibenwaldes. Noch weiter hangab, unterhalb der Fahrstraße, läuft der
Hang allmählich aus. Dort ist die Bodenbildung schon weiter fortgeschritten, das Kronendach hat sich mehr
und mehr geschlossen, der plenterartige Waldaufbau ist verloren gegangen und die Eibe wird unter den hohen
Fichten beinahe erdrückt. Hier finden wir zwar die stärksten Eiben, aber wir sind doch schon jenseits des
Optimum; die eibenreiche Phase klingt aus in die regionale Waldgesellschaft der Moräne, in den Buchen-Tannen-
(Fichten-)Wald, der auf Weichbodendellen im Bereich der Grundmoräne von Schwarzerlenbruchwäldchen
unterbrochen und abgelöst wird.
Der untere Teil des Eibenwaldes birgt ein paar besonders interessante Sehenswürdigkeiten. Es sind zwei
Eibenruinen, die uns die scheinbar unzerstörbare Lebenskraft dieser vielhundertjährigen Bäume vor Augen
führen. Da ist vor vielen Jahrzehnten eine alte Eibe über dem Boden abgebrochen. An der Bruchstelle hat aus
einer schlafenden Knospe neues Leben begonnen und nun grünt ein neues Eibenbäumchen aus dem alten,
scheinbar toten Strunk. Nicht weit davon liegt ein schwarzbraun vermoderter Eibenstamm am Boden. Auch dort
hat sich ein schlafendes Auge zu einem neuen Bäumchen aufgerichtet und trägt nun das Leben des Baumes
weiter (vgl. Lichtbild 15 und die beiden Besichtigungspunkte 2 und 3 im Kärtchen 13).
Man könnte noch manchen Gedanken hier anfügen, etwa zu der Frage, ob man den Eibenwald durch bloßes In-
Schutz-nehmen, also durch Unterlassen aller planmäßigen Eingriffe erhalten kann, ja ob dieser Wald überhaupt
ein Gebilde ist, das sich — auf lange Sicht — erhalten läßt. Aber das sind schließlich Fragen, die doch ein
bißchen weg führen ins Problematische hinein, und die deswegen hier nur angedeutet sein sollen.
Wir wenden uns heimwärts durch den herbstlich-bunten Wald, in dem leise die Blätter zu Boden sinken,
während der Wind den Schall der Glocken von Wessobrunn herüberträgt. Und das Erlebnis der stillen Stunde im
Eibenurwald von Paterzell fügt sich in die Kette der Erinnerung an manche Wanderfahrt in den von Natur
und Kunst so gesegneten „Pfaffenwinkel" im Altbaierischen Land.